Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-477/21 zielt darauf ab, eine wichtige Klarstellung zur Unterscheidung zwischen dem Recht auf tägliche Ruhe, das in Artikel 3 der Richtlinie 2003/88 eingeführt wurde, und dem Recht auf wöchentliche Ruhe, das in Artikel 5 derselben Richtlinie geregelt ist, zu liefern. Nach dieser Auslegung durch die Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die tägliche und die wöchentliche Ruhe als zwei eigenständige und voneinander getrennte Rechte betrachten, ohne die Möglichkeit, sie zu kombinieren.
Entscheidung des Gerichtshofs
Die Kernpunkte des Urteils des Gerichtshofs vom 2. März 2023 sind hauptsächlich drei:
- Die tägliche Ruhe gehört nicht zur wöchentlichen Ruhe, sondern muss zu dieser addiert werden.
- Diese Unterscheidung, die im Punkt 1 ausgedrückt wird, gilt auch, wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaates eine wöchentliche Ruhezeit vorsieht, die über dem von der Europäischen Union in der Richtlinie 2003/88 festgelegten Minimum von 24 Stunden liegt.
- Die tägliche Ruhe muss auch dann gewährleistet sein, wenn dieser Zeitraum unmittelbar vor der wöchentlichen Ruhe folgt.
Streitfall zwischen MÁV-START und dem angestellten Lokführer
Das Urteil vom 2. März 2023 hat den Konflikt zwischen dem ungarischen Eisenbahnunternehmen MÁV-START und einem seiner angestellten Lokführer entschieden. Dem Mitarbeiter wurde die tägliche Ruhe verweigert, wenn diese direkt vor der wöchentlichen Ruhe lag. MÁV-START argumentierte, dass das ungarische Recht eine wöchentliche Ruhezeit von 32 aufeinander folgenden Stunden vorsieht, was über dem von der EU-Richtlinie geforderten Minimum von 24 Stunden liegt; daher betrachteten sie den Mitarbeiter als ausreichend geschützt. Der Gerichtshof unterstützte jedoch die Position des Mitarbeiters und stellte fest, dass die wöchentliche Ruhe die tägliche Ruhe nicht aufhebt, sondern zu dieser addiert werden muss.
Richtlinie 2003/88/EG: Definition täglicher und wöchentlicher Ruhe
Die Definitionen der beiden Arten von Ruhe, auf die verwiesen wird, sind in der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung enthalten. In Artikel 3 wird die tägliche Ruhe eingeführt:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden einen Mindestzeitraum von 11 aufeinanderfolgenden Stunden Ruhe genießen kann.“
In Artikel 5 hingegen finden wir die Definition der wöchentlichen Ruhe:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer innerhalb eines Zeitraums von 7 Tagen einen ununterbrochenen Mindestzeitraum von 24 Stunden Ruhe genießen kann, zu dem die 11 Stunden täglicher Ruhe gemäß Artikel 3 hinzukommen.“
Umsetzung der Richtlinie in Italien: Gesetzesdekret vom 8. April 2003, Nr. 66
Im italienischen Recht wurde die betreffende Richtlinie durch das Gesetzesdekret vom 8. April 2003, Nr. 66, umgesetzt, das die Richtlinien 93/104/EG und 2000/34/EG umsetzte, sodass keine weitere Änderung erforderlich war. Im Text des oben genannten Dekrets wird die tägliche Ruhe in Artikel 7 eingeführt, ohne Änderungen gegenüber der ursprünglichen Richtlinie. Was die wöchentliche Ruhe betrifft, wird diese in Artikel 9 klargestellt:
„Der Arbeitnehmer hat alle sieben Tage Anspruch auf einen Ruhezeitraum von mindestens 24 aufeinander folgenden Stunden, der in der Regel mit dem Sonntag zusammenfällt und mit den täglichen Ruhezeiten gemäß Artikel 7 kumuliert wird.“
Durch die Verwendung des Begriffs „kumulieren“ wird deutlich, dass keine Änderungen im Dekret erforderlich sind, um die Entscheidung des Gerichtshofs umzusetzen. Tatsächlich sind die beiden Rechte, tägliche Ruhe und wöchentliche Ruhe, bereits als autonom identifiziert.
Folgen des Urteils in den Mitgliedstaaten
Die Folgen des in diesem Artikel vorgestellten Urteils betreffen direkt alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Arbeitsverträge aller in den Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer sollten mit dieser Auslegung in Einklang gebracht werden: die Gewährleistung von wöchentlicher und täglicher Ruhe, auch wenn letztere direkt vor der wöchentlichen folgt und selbst wenn, gemäß der entsprechenden nationalen Regelung, die wöchentliche Ruhe eines Arbeitnehmers über dem von der EU geforderten Minimum von 24 aufeinanderfolgenden Stunden liegt. In Italien sollte, falls ein nationaler Arbeitsvertrag nicht mit den dargestellten Punkten übereinstimmt, dieser umgehend geändert werden, da er gegen das Gesetzesdekret vom 8. April 2003 verstößt, das seinerseits durch die Richtlinie von 2003/88 und das Urteil des Gerichtshofs überlagert wird.
Die nationalen Verträge der anderen Mitgliedstaaten sollten ebenfalls an diese Entscheidung angepasst werden: Wo die nationale Regelung die Unterscheidung und die damit verbundene Autonomie der beiden Rechte nicht explizit vorschreibt, kann sich jeder Arbeitnehmer auf die Entscheidung des Gerichtshofs als Präzedenzfall berufen.