Mit dem Urteil in der Rechtssache C-311/21 hat der Gerichtshof der Europäischen Union zur Vergütung von Zeitarbeitnehmern Stellung genommen und anerkannt, dass etwaige Unterschiede in der Behandlung, die durch Tarifverträge eingeführt werden, angemessen ausgeglichen werden müssen.
Die Fakten der Rechtssache C-311/21
Der Fall betrifft die Frage einer zusätzlichen Vergütung im Hinblick auf die Gleichheit der Vergütung für eine Arbeitnehmerin, die von der Zeitarbeitsagentur TimePartner Personalmanagement GmbH für die Monate Januar bis April 2017 eingestellt wurde. In diesem Zeitraum war die Zeitarbeitskraft auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt und wurde an ein Einzelhandelsunternehmen vermittelt, wobei sie einen Bruttostundenlohn von 9,23 Euro erhielt.
Die Vergütung entsprach dem für Zeitarbeitnehmer geltenden Tarifvertrag, der zwischen den beiden Gewerkschaften abgeschlossen wurde, bei denen sowohl die TimePartner Personalmanagement als auch die Arbeitnehmerin organisiert waren. Dieser Tarifvertrag sah eine Ausnahme von dem im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz vor, insbesondere eine Vergütung, die unter der von vergleichbaren direkt angestellten Mitarbeitern des Entleihunternehmens lag, aufgrund der Bedingungen eines Tarifvertrags für die Beschäftigten im Einzelhandel im Freistaat Bayern (Deutschland), nämlich einen Bruttostundenlohn von 13,64 Euro.
Das Arbeitsgericht wies den Antrag der Arbeitnehmerin zurück. In ihrer Revision bringt die Zeitarbeitskraft ihren Antrag erneut vor und fordert, dass ihr die Summe von 1.296,72 Euro als Differenz zwischen ihrer Vergütung und der Vergütung vergleichbarer unbefristet beschäftigter Mitarbeiter des Entleihunternehmens gezahlt wird. Tatsächlich argumentierte die Arbeitnehmerin, dass die relevanten Bestimmungen des AÜG und des anwendbaren Tarifvertrags für Zeitarbeitnehmer nicht mit Artikel 5 der Richtlinie 2008/104 übereinstimmten.
TimePartner wies darauf hin, dass das AÜG eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz – festgelegt in Artikel 5 der Richtlinie 2008/104 – durch das Instrument des Tarifvertrags zulässt, sofern dieser nicht unter die in den gesetzlichen Bestimmungen festgelegten Mindeststundensätze fällt. Folglich muss die Zeitarbeitsagentur den Zeitarbeitnehmern nur die im Tarifvertrag vorgesehene Vergütung gewähren. Nur wenn diese unter dem in einer gesetzlichen Bestimmung festgelegten Mindestlohn liegt, muss die Zeitarbeitsagentur dem Zeitarbeitnehmer für jede im Entleihunternehmen geleistete Arbeitsstunde die Vergütung zahlen, die einem vergleichbaren Mitarbeiter des Entleihunternehmens zusteht.
Richtlinie 2008/104: Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz
Das deutsche Bundesarbeitsgericht, das mit der Frage befasst ist, fragt den Gerichtshof der Europäischen Union, ob im vorliegenden Fall eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für Zeitarbeitnehmer, festgelegt in Artikel 5 der Richtlinie 2008/104, vorliegt.
Der oben genannte Artikel erlaubt es den Sozialpartnern, von den in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie aufgeführten wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen „unter Berücksichtigung des globalen Schutzes von Zeitarbeitnehmern“ abzuweichen. Die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sind in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe f) der Richtlinie 2008/104 definiert. Hierzu gehören die Bedingungen in Bezug auf die Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub und Feiertage sowie die Vergütung.
Im Fall des AÜG hat der deutsche Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 2008/104 zur Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu nutzen. Es stellt sich also die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber den „globalen Schutz der Zeitarbeitnehmer“ durch die Bestimmungen des AÜG, die die Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz durch Tarifverträge einschränken, ausreichend gewährleistet hat.
Der Gerichtshof definiert die Anforderungen, die ein Tarifvertrag, der von den Sozialpartnern abgeschlossen wird, erfüllen muss, um vom Gleichbehandlungsgrundsatz für Zeitarbeitnehmer gemäß Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 2008/104 abweichen zu können. Insbesondere wird der Umfang des Begriffs „globaler Schutz von Zeitarbeitnehmern“ präzisiert, den die Tarifverträge im Rahmen dieser Bestimmung gewährleisten müssen, und es werden Kriterien bereitgestellt, um zu bewerten, ob dieser globale Schutz tatsächlich gewährleistet ist.
Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union
Mit dem Urteil vom 15. Dezember 2022 in der Rechtssache C-311/21 hat der Gerichtshof der Europäischen Union, nachdem er sich des doppelten Ziels der Richtlinie 2008/104, den Schutz von Zeitarbeitnehmern zu gewährleisten und die Vielfalt der Arbeitsmärkte zu respektieren, erinnert hat, bekräftigt, dass Artikel 5 dieser Richtlinie, durch seinen Verweis auf den Begriff „globaler Schutz von Zeitarbeitnehmern“, nicht verlangt, ein spezifisches Schutzniveau für Zeitarbeitnehmer zu berücksichtigen, das über das für die allgemeinen Arbeitnehmer festgelegte Niveau hinausgeht.
Sollten die Sozialpartner jedoch durch einen Tarifvertrag Unterschiede in der Behandlung in Bezug auf grundlegende Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuungunsten der Zeitarbeitnehmer genehmigen, so muss dieser Tarifvertrag, um den „globalen Schutz“ der betroffenen Zeitarbeitnehmer zu gewährleisten, ihnen im Gegenzug Vorteile in Bezug auf grundlegende Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, die die erlittenen Unterschiede in der Behandlung ausgleichen.
Obwohl die Sozialpartner einen großen Ermessensspielraum bei der Verhandlung und dem Abschluss von Tarifverträgen genießen, müssen sie das Unionsrecht insgesamt und insbesondere die Richtlinie 2008/104 beachten. Daher ist es zwar so, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht zur Annahme einer bestimmten Gesetzgebung verpflichten, um den globalen Schutz von Zeitarbeitnehmern gemäß Artikel 5 Absatz 3 sicherzustellen, so schließt dies nicht aus, dass die Mitgliedstaaten, einschließlich ihrer Gerichte, darauf achten müssen, dass Tarifverträge, die Unterschiede in der Behandlung bezüglich grundlegender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen genehmigen, insbesondere den globalen Schutz der Zeitarbeitnehmer sicherstellen.